Sonntag, 4. Dezember 2022

Kurztrip nach Antwerpen - Wiedereröffnung des MoMu

Als mein Mann vor mehreren Jahren mehrmals in Belgien war und mich fragte, ob ich mit will, recherchierte ich ein wenig und stellte fest, in Antwerpen gibt es ein ziemlich gutes Modemuseum. Allerdings befand es sich zu dem Zeitpunkt im Umbau und sollte letzten Winter wieder eröffnet werden. Es wurde dann wiedereröffnet und noch einmal für mehrere Monate geschlossen. Diesen Oktober fand dann die hoffentlich endgültige Wiedereröffnung statt.

Das Museum gibt es schon etwa 100 Jahre. An vielen Orten wurden früher Kostüme und Trachten gesammelt. Richtig interessant für "moderne" Mode wurde das Museum aber erst als in den 80er Jahren die Antwerp Six, also 6 junge DesignerInnen (allen bekannt sind sicher Demeulemaster, Bikkembergs, van Noten, Margiela), die an der Royal Academy of Fine Arts in Antwerpen Mode studiert hatten, berühmt wurden. Die Sammlung wurde aufgestockt. Nicht nur um Werke der Belgier, auch der 2. und mittlerweile 3. Generation der Antwerpener Modedesigner, sondern auch um Werke der Modehäuser, in denen die Designer gearbeitet haben. Der Modemarkt hat sich für Designer dieser 2. und 3. Generation radikal verändert (Fast Fashion als Stichwort), so dass sie sich oft Arbeitsmöglichkeiten suchen mussten, die nicht mit einem eigenen Label verbunden waren. Gleichzeitig standen die großen Modehäuser durch Nachfolgeprobleme (und einem Wirtschaften, dass die Veränderungen der Welt nicht genug berücksichtigte) vor Krisen, die sie mit neuen jungen Designern lösen wollten (bekannt ist vor allem Raf Simons bei Dior).

Antwerpen ist in Teilen eine prächtige, pompöse Stadt, gleichzeitig aber auch an vielen Ecken verunstaltet. Zu meinem nicht so positiven Eindruck vom Stadtbild hat sicher auch das nasskalte Wetter beigetragen und eine Touristenmasse, die ich so (eine Woche vor Eröffnung eines Weihnachtsmarktes) nicht erwartet hätte. Aber mein Besuch gestern (die Bahnfahrt hat perfekt geklappt, es sind knapp 4 Stunden mit einem Umstieg in Brüssel) diente auch weniger der Stadt als dem Modemuseum und dem Fashion Quartier, in dem sich das Museum befindet. Die meisten Menschen fahren nicht deswegen nach Antwerpen.

Im Fashion Quartier gibt es noch einige zauberhafte Läden von bekannten Designern, alteingesessene Handschuhmacher, coole Vintageläden und wenige lokale Modelabels. Mitten drin ist das MoMu. Es bietet auch Rundgänge zur Historie der Mode in Antwerpen (vor allem der Antwerp Six) an, die sind leider nur auf Holländisch. Im Museum sind aber alle Tafeln auf Holländisch, Französisch und Englisch. Es gibt auch eine kostenlose App zum Herunterladen, ich habe mir Teile davon auf der Rückfahrt angehört, es geht eher um allgemeine Dinge, nicht um die einzelnen wie damals in Bonn.

Ich habe angefangen mit der Dauerausstellung, die mir auch am besten gefiel, sie hätte gerne noch etwas größer sein können. Und die Beleuchtung heller, aber das Problem kennt man ja aus anderen Textilausstellungen. Gewöhnungsbedürftig war die "Beschilderung" der Objekte, die in großen Vitrinen ausgestellt waren. Nicht an der Vitrine, sondern an der Wand im Rücken des Betrachters, standen die Designer und das Jahr der Kollektion. Wirklich sehr besucherunfreundlich, weil man sich ständig umdrehen musste.

Die Dauerausstellung, die wechseln wird, begann mit dem Thema Handwerk. Ich nahm gleich das Modell von Minju Kim Herbst/Winter 20/21wahr. Wo ich doch gerade eine (Weihnachts-) Hose aus Stepper genäht habe. So neu ist die Verwendung von Steppstoff für anderes als Winterjacken doch nicht. Die Antwerp Six haben sich auf hochwertige Verarbeitung und/oder Verwendung von von hochwertigen Materialien fokussiert.


Surrealismus lautete das Oberthema einer weiteren Vitrine: Hier Hüte von Stephen Jones Herbst/Winter 10/11 bzw. 17/18 (ich hoffe, der Toast mit Erdnussbutter ist erkennbar).


Das weiße Herrenhemd in Verfremdung wurde von einigen der eher klassisch orientierten Designer gerne als Grundlage für ihre Kollektion genommen. Es ging nicht um Upcycling, aber theoretisch ist das möglich. Einige Vorschläge sprachen mich sehr an, aber wann soll man das alles anziehen?


Die zweite Ausstellung beschäftigte sich mit dem Thema Von 2D zu 3D und dann auch wie 3D präsentiert wird, an der Puppe ohne Bewegung, am Avatar in Bewegung. Dazu haben Kuratoren und Studenten (auch aus London) 6 "klassische" Kleider von bekannten Designern (Halson, Balenciaga, Vionnet usw.) zerlegt. All diese Stücke eint, dass das beim Zerlegen entstandene Schnittmuster extrem simpel war, aber oft besondere Stoffe (80 m Tüll in einem Fall) oder geschickte Drapierung das Modell auszeichneten. Das Schnittmuster dieses Kleides von Rei Kawakubo ist ein ganz langes Stück Stoff (geht nach rechts noch gut 6 m weiter), durch einige Nähte und Wickeln wird daraus ein Kleid, dass man unterschiedlich tragen kann und in der Bewegung immer wieder anders interessant "fliegt".


Die dritte Ausstellung "Mirror Mirror" handelt vom Selbstbild und Fremdbild desjenigen, der Mode trägt. Erwartet hatte ich irgendwas zu Bodypositivity oder so, auch viel Text, vielleicht neigen aber auch wir in Deutschland dazu, dem Thema viel Text beizumessen. Aber es war ganz anders. Aus meiner Sicht hätte man dahingehend - auch im Kontext der muslimischen, afrikanischen usw. Mode noch mehr aus der Ausstellung heraus holen können. Dennoch fand ich den Blickwinkel interessant. Im ersten Teil wurden Kleidungsstücke gezeigt, die anders waren, als das, was meist auf dem Laufsteg präsentiert wird.


Bei diesen Kleidern geht es darum, dass sich die Trägerin mehr Raum nimmt, ausladende Stoffe, Verarbeitung, Verbreiterung des Mantels unten usw. führen automatisch zu mehr Größe, mehr Sichtbarkeit. 


Die Kollektion von Margiela war in Räumen der Heilsarmee in Paris präsentiert worden. Das Publikum saß zwischen Second Hand Kleidern. Die eng geschnittenen und anliegenden Shirts und Leggings wurden umhüllt von Plastikfolien, die üblicherweise von Reinigungen verwendet werden. Sie dienen der Verfremdung der Kleidung, gleichzeitig geben sie der Trägerin weiteren Raum, sie sollen auch dazu beitragen die Frage zu schmaler Taille und engen Hüften neu zu stellen. 


Rei Kawakubo hat in ihrer Kollektion The Body Meets Dress, Dress Meets Body im Frühling/Sommer 97 den weiblichen Körper durch zusätzliche Polster an ungewöhnlichen Stellen verfremdet und dadurch vom klassischen Körperbild abgelenkt.


Im zweiten Teil der Ausstellung wurde stärker der Blickwinkel, also das Selbstbild einzelner Designer, präsentiert. Ein Highlight für mich die Barbiepuppen, die Margiela im Alter von 13 Jahren heimlich eingekleidet hat. Er hat ihnen auch die Haare (als Sohn eines Friseurs) passend zur Kleidung gefärbt. Das Jacket war von Yves Saint Laurent inspiriert, er war damals bereits der Meinung, dass er sowas auch kann. Weiße Kontrastnähte und übergroße Druckknöpfe erinnern an seine späteren Arbeiten im Maison Martin Magiela.


Diesen pinken Look hat Margielas Großmutter für ihn, inspiriert von Cardin, kreiert. Die passende Haarfarbe hat Margiela ergänzt.


Sehr spannend und sehr umfassend war die Bibliothek im oberen Geschoss des Museums, ihr glaubt nicht, welche Vielfalt an Zeitschriften und Büchern dort verfügbar war. In einem hinteren Raum arbeiteten Studenten an ihren Werken. Diverse Outfits waren verhüllt, wie gerne hätte ich einen Blick unter die Laken geworfen.



Das war ein toller Besuch an einem ansonsten trüben Dezembertag. Schade, dass man oft reisen muss, andererseits ist es auch schön, eine andere Stadt zumindest ein wenig anzuschauen. Als zum Black Friday lauter günstige Flugangebote der BA bei mir aufpoppten war ich versucht, demnächst einen Trip nach London ins V&A zu machen, ich bin nicht in Versuchung geraten.

Viele Grüße
Anja


4 Kommentare:

  1. Was für ein interessante und ausführliche Eindrücke, liebe Anja.
    Habe ich sehr gerne gelesen.
    LG von Susanne

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  2. Das glaube ich Dir sofort, dass das ein toller Besuch war. Ich kenne ja das Museum leider nur geschlossen. Daher vielen lieben Dank für den virtuellen Rundgang! Die App werde ich mir runter laden. Herzliche Grüße Manuela

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    1. Mein einer Zug kam aus Hasselt, da musste ich an dich denken, lg Anja

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