Während ich auf die U-Bahn warte, studiere ich immer die Plakate in der Station. So fiel mir vor ziemlich langer Zeit die Kostümwesen Führung im Kalender der Oper Frankfurt auf. Sie findet alle 2 Monate statt und es gibt einen bestimmten Buchungstag, ab dem die Tickets erhältlich sind. Es brauchte einige Anläufe bis ich die Möglichkeit hatte, an der Führung teilzunehmen. Erst war ich zu spät für ein Ticket, dann passte der Termin nicht, dann war Sommerpause. Gestern hat es geklappt. Und es hat sich wirklich gelohnt. Die Gruppe war größer als erwartet, aber es passten alle in alle Räume und der Leiter der Kostümabteilung, auf dessen Podcast "Maasgefertigt" ich hier gerne verweise, hat laut, deutlich, anschaulich erzählt. Dabei ging es natürlich auch um Hintergrundinformationen zu den Produktionen, für die die Kostüme sind, die da gerade in den Räumen genäht wurden.
Vorab ist zu sagen, dass die Städtischen Bühnen Frankfurt in einem Gebäude untergebracht sind, das aus mehreren Epochen stammt und dementsprechend verschachtelt ist. Sämtliche Räume entsprechen nicht mehr dem, wie man es heute bauen würde, der Brandschutz ist ein Problem, die Barrierefreiheit ebenso. Deswegen ist seit unglaublich langer Zeit ein Neubau, Umbau oder was auch immer geplant. Schon vor 2 (oder sogar 3) Jahren wurde dazu im Architekturmuseum eine Ausstellung zu Bühnenbauten gezeigt, ich erinnere mich an tolle Beispiele aus den nordischen Ländern und absolute Fails in Köln und Stuttgart, soweit ich weiß, immer noch nicht fertig. In Frankfurt ist immerhin eine erste Entscheidung getroffen, was bleibt (Denkmalschutz) und wo das Schauspiel neu gebaut wird, wann es losgeht, wie die Übergangsphase gestaltet wird, wie es weiter geht, alles offen.
Insofern sind die Räume in einem Zustand (den der Leiter im Vergleich zu anderen Räumen als noch ziemlich gut beschrieben hat), den ich als beengt, dunkel, oll bezeichnen würde. Ehrlich gesagt, Arbeitsbedingungen, die für mich sehr gewöhnungsbedürftig wären. Dabei geht es nicht einmal um Temperaturen, die vermutlich im Sommer in grauenhafte Höhen steigen, das will ich nicht wissen, selbst in vielen modernen Gebäuden mit sogenannten Klimadecken und vorhandener Außenverschattung erreichen die Innentemperaturen in Frankfurt im Sommer an den heißen Tagen gerne mal die 27 Grad Marke, bei der mir das Denken und Arbeiten schwer fällt. Das ganze Mobiliar, die Wandfarben, das "Gerümpel", das überall im Weg stand, aber notwendig war, die Ordnung, die für mich nicht erkennbar war, sowas hemmt meine Kreativität. Aber da ist jeder anders und meine Bekannte, die als Lehrerin in einer Schule arbeitet, meinte, dort sei es auch nicht anders.
Im Kostümbereich arbeiten 120 Personen zzgl. Hospitanten, FSJ-ler, es gibt Azubis im Schneiderhandwerk, Schumacherhandwerk und Modistenlehrlinge. Dies, damit auch in Zukunft die Möglichkeit besteht, individuell anzufertigen.
Ausgelagert ist das Kostümdepot und ein weiteres Stoffdepot. Ich erinnere die Zahlen nicht mehr, es muss riesig sein, denn die Stoffsammlung, in der wir waren, war bereits sehr groß.
Bei 30 Neuproduktionen und 30 Wiederaufnahmen pro Spielzeit mit ggf. anderen Spielern ist ziemlich viel zu tun, entsteht auch Zeitdruck. Nicht alles wird neu hergestellt, Vor allem für die Chöre wird auf vorhandene Sachen zurück gegriffen, die dann geändert werden.
Die Kostümbildner sind meist Externe, bringen ihre Zeichnungen mit und dann geht es los, etwa 2 Jahre vor der Premiere. Die Gewandmeisterin erstellt die Schnitte, viele Damen- und Herrenschneider setzen um. Während der Proben wird auch anprobiert, angepasst. Das Kostüm verleiht dem Schauspieler bzw. dem Sänger erst das richtige Gefühl für die Rolle, d.h. auch die, die am Ende die Kostüme tragen, werden integriert. Der ganze Prozess hat mich an Haute Couture erinnert, wo für eine bestimmte Kundin und einen bestimmten Anlass ein Kleidungsstück angefertigt wird. Im Extremfall werden auch die Schuhe maßgefertigt, wenn für die Rolle ein bestimmtes Modell notwendig ist und am Markt nicht erhältlich oder zu teuer ist, im Beispiel ging es um Schuhe, die 700 Euro gekostet hätten und das Budget gesprengt hätten.

Wie schon gesagt, es war überall sehr eng, die Stühle, an denen die Schneiderinnen vor der Nähmaschine sitzen, sehen aus wie alte Kneipenstühle. Überall hängen halbfertige Kostüme, halbfertige Hüte, unbesohlte Stiefel. Fast überall in diesem Fall Sachen für "Boris Godonov", das demnächst startet.

Auch die Obergewandmeisterin hat nicht mehr Platz, die Zuschneidetische sehr begrenzt an der Zahl. Wenn in einem Nähraum 24 Machinen rattern, möchte ich nicht wissen, wie laut es da ist. Hat mich irgendwie an die Bielefelder Wäschefabrik erinnert, wo in der Führung auf das große Fenster und die hohe Decke hingewiesen wurde - die wurde vor 100 Jahren gegründet. Nun ja, die Städtischen Bühnen sind natürlich auch irgendwie vor und nach dem Krieg gewachsen. Es waren oft Rohrleitungen an den niedrigen Decken und das Ambiente erinnerte mich eher an Kellerräume als an 3. oder 5. Obergeschoß. Es gab immerhin große Fensterfronten in den meisten Räumen. Die Ankleiden waren zwar groß mit vielen Spiegeln, einen Vergleich mit den Modehäusern darf man nicht anstellen.
Oben ein Modell für "Punch and Judy", die Führung hat auf die Inszenierungen neugierig gemacht. Es ist gelungen, ich habe mir vorhin für 3 Vorstellungen Tickets besorgt. Auch "Punch and Judy"
Neben der Schumacherei gab es ein riesengroßes Schuhdepot. Leider war mein Foto verschwommen. Unglaublich, was es dort gab, Absätze, Sohlen, Schuhe, die Riesenfüße machen - und Laufen müssen die Schauspieler darin.
Unten einige Detailaufnahmen aus verschiedenen Räumen: Vorräte an Bändern, Borten, Knöpfen, Gummis usw. - unendlich.
Halbfertige Kostüme: schaut euch die Fahrradschläuche auf dem schwarzen Mantel unten an, Wahnsinn!
Oben ein kleiner Teil der Stoffsammlung und die Färberei. Ich hätte nie und nimmer gedacht, mit welchem Aufwand Kostüme gemacht werden.
Wir sind fast 3 Stunden durch die Gänge und Räume gelaufen, es war superinteressant. Falls es so eine Führung auch in eurer Stadt gibt, geht hin. Am Ende war ich aber wirklich platt.
Schöne Grüße und ein feines Wochenende
Anja