Dienstag, 6. Mai 2025

Dirndl - Tradition goes Fashion im Textilmuseum in Augsburg

Letzten Sonntag war ich im immer wieder wunderbaren TIM in Augsburg. Es regnete und schon ein paar Tage vorher hatten meine Freundin und ich die Idee, uns die Sonderausstellung Dirndl - Tradition goes Fashion anzuschauen. Das Museum ist auf dem Gelände der ehemaligen Textilfabrik Augsburg. Gemeinsam mit anderen Bloggerinnen war ich schon einmal vor Jahren dort - Brezn meets Spätzle - wir haben im Rahmen eines Bloggertreffens eine Führung durch die Dauerausstellung gebucht. Ein Bericht ist hier auf meinem Blog.


Das Dirndl - ein nicht unumstrittenes Kleidungsstück, siehe dazu auch der Blogbeitrag von Tina - Tina und meine Freundin, beide bayrischer Abstammung haben auch schon einmal über das Thema diskutiert. Ich als "Preußin" bin da etwas außen vor. Ich habe kein Gefühl für oder zu diesem Kleidungsstück und sehe auch selten Dirndl. Als ich in den 90er Jahren in München lebte, wurden sie nicht mal zur Wiesn in den Mengen getragen wie heute. Näher beschäftigt habe ich mich bisher nie damit. Ich besaß einzig als Kind ein Dirndl, selbst genäht von meiner Mutter. Bisher habe ich auch nicht den Wunsch nach einem derartigen Kleidungsstück verspürt. Das Frankfurter Oktoberfest besuche ich ganz sicher nicht.

Vorbereitend auf unseren Ausflug und weil es auch bereits am Samstag regnete, schleppte mich meine auch dem Dirndl und insbesondere seiner Vereinnahmung durch Fremde und teils an Fasching erinnernden Kopien skeptisch eingestellte Freundin in die Mammendorfer Trachtenwelt. Mir gefiel kein einziges Dirndl. Und noch schlimmer sah es mit der Passform aus: was in der Taille passte, war oben herum viel zu weit. Was oben herum passte, saß so eng, dass ich nicht mehr atmen konnte. Bei dem größeren Modell half auch der Dirndl-BH (bis dato wusste ich nicht mal, dass es sowas gibt) kaum etwas. Für das kleinere Modell hätte der Änderungsschneider des Ladens weitergeholfen, aber ob da wirklich genug Nahtzugabe war, schien mir fraglich. Und außerdem hätten eigentlich eher Abnäher im Oberteil verändert werden müssen. Egal - mein Ziel war es nicht, ein Dirndl zu kaufen. Ich wollte nur mal gucken und wir hatten nichts Besseres zu tun.

Sonntag ging es dann ins Museum: Vorab, die Ausstellung war richtig toll gemacht, sehr umfangreich, informativ, umfassend - von den Anfängen des Arbeitskleides bis hin zu Haute Couture Dirndl und dem, was daraus gemacht wird. Wir waren deutlich länger dort als wir geplant hatten. 

Aus den Beständen des TIM wurden zahlreiche Stoffmusterhefte gezeigt, es gab Einführungen zu den Bestandteilen, die ein Dirndl kennzeichnen (das "Bescheisserl", die Dirndlbluse, die nur bis unter die Brust geht), Modezeichnungen und natürlich massenhaft Kleidungsstücke zu sehen.


In den Anfängen (vor ca. 150 - 100 Jahren) war das Dirndl, womit sich eigentlich jedes Trägerkleid mit Schürze, vorne geknöpft oder gehakt, bezeichnen lässt, die einfache Arbeitskleidung auf dem Land. Im Sommer ohne Bluse (Hitzegwandl), ansonsten mit Bluse, lang- oder kurzärmlig. Ggf. mit einer Strickjacke darüber, die alpenländische Muster aufnimmt. Das Dirndl ist keine Tracht. In Österreich wurden die ursprünglichen Trachten verändert und vereinheitlicht und erhielten eine dirndlartige Form (Trachtenerneuerungsprogramm, siehe Bilder unten). Gertrud Peusendorfer war die maßgebliche Initiatorin und ihre Einflüsse sind bis heute in Österreich erhalten geblieben. In dem verlinkten Wikipedia Eintrag erfährt man mehr zur Vereinnahmung des Dirndl in der NS-Zeit.




Nach dem 2. Weltkrieg, insbesondere in den 50er und 60er Jahren, setzte ein Boom des Dirndls ein. Heimatfilme, Salzburger Festspiele, Stars, die sich in Dirndl ablichten ließen, trugen dazu bei, dass Touristen sich ein Dirndl kauften und dies im Urlaub (vielleicht auch zuhause?) getragen haben. Das, was unter Dirndl verstanden wird, nämlich ein Kleid mit Schürze mit Blumen-, Ranken- und anderen traditionellen Druckmustern verkaufte sich gut. Der Dirndl Style wurde weltweit "exportiert". Stichwort "Das weiße Rössl", "Trapp Familie in New York", "Sissi".


Auch in der damaligen Zeit gab es bereits kulturelle Aneignungsdiskussionen, das Beispiel unten zeigt ein Kleid aus Bettzeugstoff, genäht nach einem traditionellen österreichischen erneuerten Trachtendirndl, von einer Münchnerin. Nicht ok für viele.



Meine Fotos entsprechen nicht ganz der Chronologie der Ausstellung. Im mittleren Bereich der Ausstellungsfläche wurden die neuen Designer präsentiert. Mit dem, was heute alles unter Dirndl läuft. Quasi alles, was irgendwie einen weiten Rock hat und/oder eine Taillierung/Taillennaht, einen Ausschnitt mit/ohne Verzierungen, Bluse, Schürze. Wenn man die Fotos unten anschaut, stellt sich die Frage, ob das noch ein Dirndl ist bzw. was ein Dirndl überhaupt ist. Wohl eher Fashion als Dirndl. Präsentiert wurden Modelle von Noh Nee, Lola Paltinger, Gössl, Susanne Bisofsky, Andreas Kronthaler for Vivienne Westwood , Emanuel Burger, um nur einige zu nennen. Es gab afrikanische Dirndl, Dirndl aus Sari, viel Party und ein wenig traditionell Angehauchtes in dem mittleren Bereich.



Hier geht es nochmal zurück in den Bereich der "klassischen Dirndl". Das Bild unten zeigt eine traditionelle erneuerte Mustertracht von 1960 mit einer antifaschistischer Schürze, bestickt mit "never let the fascists have the dirndl" von 2019. Initiator ist die Initiative Reclaim the Dirndl. Die Verlinkung habe ich noch nicht angehört, scheint aber auf den ersten Blick interessant zu sein.



Strickjacken gab es einige, auch Hüte, Schmuck usw. Das Ganze unterlegt mit Filmen, Plakaten, Gesellschaftsspielen und und und.


Auf der gegenüberliegenden Ausstellungsfläche wurden besondere Arbeiten gezeigt. Es gibt einen Überblick über die verschiedenen Abschlusskanten, man kann sich auch im Selbstversuch üben.


Die oben gezeigten Modelle sind Katalogware. Die Knöpfe zeigen die Münchner Frauenkirche, auf dem Rock des anderen Modells ist ebenfalls die Frauenkirche abgebildet, der Löwe, in den 70er Jahren ergänzen typisch bayrische Bilder die Stoffmuster. Jeder sollte von überall her die Möglichkeit haben, sein Dirndl zu kaufen.

Susanne Bisofsky zeigt in einem separaten Raum die Verwandlung des Leibls zum Haute Couture Dirndl in mehren Schritten. Final sind unten das Festtags- und das Haute Couture Dirndl fotografiert.

Janina Lindner hat angesichts des Syrienkrieges und der damit verbundenen Flüchtlingswelle 2014 ein Dirndl in Camouflage Optik entworfen. Es trägt den Namen "Der Wolf im Schafspelz".


Das Hochzeitsdirndl stammt von Talbot Runhof.

Und gegen Ende der Ausstellung präsentieren sich die Party- (auch mittlerweile günstig von Shein) und Arbeitskleidungs-Dirndl, die zur Wiesnzeit oder zu anderen Volksfesten getragen werden im Karusselllicht.

Das Dirndl von Romy Schneider im Sissi Film unten (stand in einem anderen Raum, sorry für das Durcheinander mit den Fotos):




Wiesn Dirndl oben und unten selbstgenähte Dirndl nach Burda von 1962 bzw. im kleineren Bild Gesellenmodell einer Schneiderin:

Unten links die Arbeitskleidung der Kellenerinnen zur Wiesn (Löwenbräu und ich weiß nicht mehr welcher Wirt) sowie rechts ein älteres Lufthansa Dirndl (Boden oder fliegendes Personal erinnere ich nicht mehr):
Abschließend noch Bilder der afrikanischen Dirndl und des Sari Dirndl, die natürlich eigentlich zu den Fashion Dirndl weiter oben im Post gehören:



In einem Bereich am Ende der Ausstellung wurden noch Videos der Schüler der Meisterschule für Mode gezeigt, die sich vor der Ausstellung mit den Thema Dirndl beschäftigt haben. Es gibt auch Entwürfe von ihnen. Nach 2,5 Stunden war ich so voll mit Eindrücken, dass ich hier nicht mehr lange verweilt habe.

Soweit meine Eindrücke von der Ausstellung. Ich war sehr begeistert. Insbesondere die modernen Modelle, die ich nicht unbedingt als Dirndl bezeichnen würde, haben mir gefallen. Die Borten waren beeindruckend. Und da im Gespräch ist, dass wir irgendwann mal zum Kocherlball gehen (das einzige Event, das meine Freundin mit ihrem vor unendlich vielen Jahren zur Hochzeit ihres Bruders gekauften Festtagsdirndl besuchen würde), kann es sein, dass ich mein Weihnachts- aka Bayreuther Festspiele Kleid in ein Dirndl verwandele. Das Kleid passt vom Stil, sitzt unendlich viel besser als jedes anprobierte Dirndl und mit Borten und Schürze, Spitze darunter wäre der Look perfekt.

In diesem Sinne "Pfüati"

Anja

6 Kommentare:

  1. Danke für den ausführlichen Bericht. Das ist eine Ausstellung, die ich sehr gerne sehen würde. Am Dirndl scheiden sich ja die Geister. In Nordbayern aufgewachsen, kenne ich Dirndl nur von der Kirwa (=Kirchweih), habe aber auch die Renaissance des Dirndl und die oftmals (wieder) damit einhergehende nationalistische Vereinnahmung mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. In der Wahlheimat Steiermark wundere ich mich oft über die unreflektierte schon fast sklavische Einhaltung der Trachtenmodelle der Trachtenerneuerung aus den 1930er Jahren und die nach wie vor vom Steirischen Heimatwerk ebenfalls unreflektiert propagierte Trachtenberatung nach genau diesen Prinzipien. Was mir die Tracht und das Dirndl nach wie vor ziemlich vergällt. Susanne Bisovsky poppt immer mal wieder in meinem Interessenskosmos auf, ihre Modelle fand ich bereits vor 20 Jahren ziemlich interessant. Vielleicht, weil das viele Schwarz bei ihr der Tracht meiner protestantischen Oberpfälzer Ur- und Großmütter nahe kommt, minus das "slawische" Bunt.
    Auch wenn ich dem Dirndl nach wie vor recht kritisch eingestellt bin (wofür das Dirndl selbst eigentlich nichts kann, nur die Vereinnamung), das Nähen eines Dirndl und all die möglichen Verarbeitungstechniken würde mich schon sehr interessieren. Irgendwann gönne ich mir einen Dindlnähkurs :)
    Liebe grüße, heike

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    1. Von diesem Trachtenerneuerungsprogramm habe ich auch erst in der Ausstellung gelesen und ich bin wirklich überrascht, wie unreflektiert die Österreicher damit umgehen. Übrigens war ich auch überrascht, dass das Dirndl in der Schweiz überhaupt kein Thema ist, habe auf der Rückfahrt noch mit einer Freundin aus Thun gechattet und dort gibt es Trachten. Dirndl, also so fake Dirndl tragen die jungen Leute zu den Oktoberfesten, die es dort auch gibt. Das Nähen eines traditionellen Dirndls reizt mich weniger, ich fand die modernen Interpretationen viel spannender, aber sind die noch Dirndl? LG Anja

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  2. Vielen Dank für den Bericht, hab es erst jetzt geschafft ihn zu lesen und fühle mich dadurch wirklich als wäre ich dort gewesen. Habe außerdem gerade geschaut, die Ausstellung ist noch bis 19. Oktober geöffnet, vielleicht schaffe ich es da selbst noch.
    Grüße, Tina

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    1. Geh da mal hin, für dich ist es wirklich nah, Bettina war auch trotz ihrer kritischen Einstellung sehr angetan, lg Anja

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  3. Auch von mir herzlichen Dank für den virtuellen Rundgang, insbesondere da ich es wohl nicht schaffen werde, es ist etwas zu weit.
    Auch ich tue mich mit dem Dirndl schwer, störte mich bisher aber hauptsächlich an der mangelnden Authentizität. Das Ausmaß der Trachtenerneuerung in den 1930er Jahren ist mir gar nicht bewusst gewesen.... Nähen und tragen werde ich als Nordlicht wohl nie eins, obwohl mich einzelne Elemente, wie z. B. das Posament durchaus interessieren. Liebe Grüße Manuela

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    1. Ich war ja völlig überrascht, dass es 2014 einen Dirndl Sew Along auf dem Me Made Mittwoch Blog gab, mich würde tatsächlich mal interessieren, welche Nordlichter ihr Dirndl getragen haben? Ich finde es auch außerhalb von Bayern untragbar, aber hatte eine Diskussion mit meiner Kollegin aus Alzenau (Unterfranken, ziemlich nah an der hessischen Landesgrenze, also Bayern, auch wenn die Franken das ungern hören), dort trägt man Dirndl zu diesen Ortsfesten, Kirchweih oder wie sowas heißt. Die Dirndl, die nicht wie traditionelle Dirndl aussehen, finde ich ziemlich interessant, die Borten, Posamenten sowieso, die interessieren mich auch technisch (haben mich interessiert bis vor ein paar Tagen als ich gemerkt habe, dass mir die Geduld dafür fehlt), stay tuned, ich plane den Einsatz eines Dirndls bzw. dirndlähnlichen Gewandes diesen oder nächsten Sommer ... mal sehen, lg Anja

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