Montag, 27. November 2023

Textil- und Nähreise Toskana - Teil 4 - Stoffläden und andere Geschäfte



Von einigen Nähfreundinnen hatte ich gehört, dass man in Prato ganz toll (hochwertig und günstig) Stoff kaufen kann. Außerdem habe ich einmal in Instagram eine Story einer Stoffhändlerin gesehen, die mehrere Tage in der Region unterwegs war, um dort wirklich tolle Designer Deadstock Stoffe zu ergattern.

Mein Ziel war es nicht, besonders viel zu kaufen (vielleicht bin ich unterbewusst deshalb mit 8 kg Handgepäck und einem annähernd leeren kleinen Rucksack als zweitem Handgepäckstück nach Florenz geflogen. Aber mich interessierte, was es gibt, wie die Preise sind, ob es sich lohnt, dort zwischen zu stoppen und etwas zu suchen. Von meinen Reisen nach Italien habe ich bisher immer irgendein wunderbares Tuch, das ich hier nicht im Laden gefunden hätte, mitgebracht.

Ich wollte in Prato nicht mit dem Bus herum fahren und habe mir deswegen, mehrere Stoffläden in Innenstadt-/Bahnhofs-/Airbnbnähe gesucht. Da die Stadt übersichtlich ist und man schön zu Fuß gehen kann, gab es auch genug Adressen, die sich auf google maps finden, wenn man tessuti Prato eingibt und die Karte entsprechend vergrößert. Üblicherweise haben alle Geschäfte eine lange Mittagspause.

Gleich am ersten Abend bin ich bei Glamour hinein gestolpert. Eine Art Riesengarage für LKW, vollgestopft mit Stoff. Direkt an den Kisten (Foto oben) hingen Schilder Marc Jacobs, Yves Saint Laurent, Dior usw., die Stoffe sprachen mich optisch nicht an. Weiter hinten in der Garage hockte eine junge Frau (auf einem Sofa schlief ein junger Mann, der im Verlauf durch unser Gespräch aufgeweckt wurde). Da ich nichts Bestimmtes suchte, meinte die junge Frau, es sei schwierig, herum zu laufen, sie ist Grossista/Großhändler und wenn Einzelkunden kommen, dann zeigen sie ihr ein Modell aus einer Zeitschrift und sie sucht den passenden Stoff. Die Kunden gehen dann üblicherweise zu einem Schneider. Auf Hobbynäher ist man nicht eingestellt. Wir haben uns bestimmt 45 Minuten sehr nett über die Möglichkeiten Stoff in Deutschland und Italien zu kaufen unterhalten, wie der Laden funktioniert, wer als Kunde kommt, sie war auch sehr interessiert, was es in Deutschland gibt und wie Großhändler und die Webereien/Textilindustrie dort arbeiten. Ich meinte, dass es bei uns nahezu keine Textilindustrie mehr gibt, konnte aber nicht viel mehr dazu sagen. Sie bot mir auch an, einige Modezeitschriften durchzublättern, um Inspirationen zu bekommen, aber das war ja nicht mein Ziel. Ich wollte dann auch irgendwann weiter, wir hätten noch endlos reden können, da sie sowieso nichts zu tun hatte, und habe mich verabschiedet. Ich wusste nach dem Gespräch aber, dass es nicht so ist wie auf einem Stoffmarkt in Deutschland, wo man einfach herumläuft und alles anguckt/anfasst. Etliche Rollen in den hohen Regalen waren verhüllt oder in Plastikfolie eingeschweißt. Verkauf an Nicht-Einzelhändler ist schon theoretisch möglich, in Italien ist immer noch vieles möglich, was an der Steuer vorbei geht (eine Teilnehmerin aus Bozen aus meinem Nähkurs in der Folgewoche hat das nur bestätigt).

Am Abend und am nächsten Vormittag war ich noch in 3 weiteren Stoffläden, habe mir auch einen Rest grob gewebte Wolle mit Fransen und einen Boucle für eine Hose angelehnt an die Chanelhosen der Metiers d'Art Kollektion 2022 gekauft, damit schien mein Koffervolumen ausgereizt. Weitere Händler habe ich in Prato erstmal nicht besucht, es gab dort auch genug anderes zu tun. 

Gemeinsam mit Sophie Springer, die unseren Nähkurs geleitet hat (dazu berichte ich noch), sind wir am Ende der Woche zu einem weiteren Grossista in Calenzano Nähe Prato gefahren. Auf dem Weg lag Intrend, das Max Mara Outlet, in dem es ebenfalls Stoffe gibt. Hat mir extrem gut gefallen, ich bin sehr fündig geworden und habe mich schon gefragt, wie ich die Stoffe nach Hause bringe. Notfalls alles übereinander hängen als Schal. Im Vergleich zu den Grossista alles hohe Qualität, d.h. auch beschriftet hinsichtlich der Zusammensetzung, mit einem Preis ausgezeichnet, in Mengen zugeschnitten, die gut für Kleidungsstücke reichen, viel, aber nicht zuviel, preislich vergleichbar mit The Fabric Sales, also in jedem Fall günstiger als im Ladengeschäft in Deutschland. Es lohnt sich, vorbei zu fahren.


Bei dem Grossista habe ich nicht mehr gekauft, weil ich wirklich genug hatte. Hier eine noch riesigere Lagerhalle (mit Hochregallager) als in Prato (das war ja in der Innenstadt), neue Stoff waren noch draußen und nicht eingeräumt. Auf den ersten Blick ein unglaubliches Durcheinander, dazwischen Antiquitäten und asiatischer Krimskrams. Wir waren angemeldet und uns wurde grob erklärt, was wir wo finden. Es gab wunderbare Minotti Sofastoffe, aber da muss man vermutlich mit einem Kleintransporter vorfahren. Meine BegleiterInnen haben kräftig eingekauft. Ab 5 m gab es Rabatte, das Auswählen und Zuschneiden bei 7 Personen hat lange gedauert, aber es war schon interessant, sich in den Hallen umzuschauen. Die Schätze liegen irgendwo unter den Stoffballen, die manchmal fleckig, verstaubt, schadhaft waren, versteckt. Nicht so einfach, etwas zu finden, die Atmosphäre auf den ersten Blick eher ramschig. Es brauchte auch Armkraft, die Rollen anzuheben. Wolltuch, Hemdenbaumwolle, Flanell gab es für 3 - 4 Euro/Meter, es gab raffiniert neon gefärbten Echtpelz und Lederreste in Kisten (25 Euro für Stücke, aus denen man schon Einiges hätte machen können), Strickstoffe (Baumwolle/Elasthan, die Zusammensetzung konnte man erfragen) 3 - 4 Euro/Meter, Taffetta 12 Euro/Meter - also wirklich günstige Preise (obendrauf kam am Ende noch die 22% Mehrwertsteuer). Bis alles abgerechnet war, dauerte es auch. Auf jeden Fall war das ein Erlebnis, aber gleichzeitig auch eine Überforderung. Ohne etwas Konkretes im Kopf zu haben oder einen Kleintransporter gibt es keinen Sinn, hier einzukaufen.
In Prato wollte ich aber nicht nur Stoffläden besuchen, sondern mich auch mit der textilen Gegenwart beschäftigen. Dafür bin ich zu Lottozero und Rifó gegangen. Rifó bietet an einigen Samstagen im Jahr auch Touren an, wo die Fabriken besichtigt werden. Leider passte der Termin nicht in mein Programm, aber ich komme sicher nochmal nach Prato. Lottozero ist ein Workspace, wo man sich auch stunden- oder tageweise einmieten kann (oder auch mit einem Stipendium länger werkeln kann): es gibt alles: Strick- und Nähmaschinen unterschiedlicher Größe, Plotter, Webstühle unterschiedlicher Machart und Größe, Siebdruck, Färbebecken,  sehr spannend. Mehrere Designer werkelten an den großen Tischen. Die ehemalige Werkshalle war noch mit einem spinnennetzartigen Geflecht durchzogen, dass StudentInnen in der Woche zuvor gebastelt hatten, die Bibliothek randvoll mit tollen Büchern, eine sehr inspirierende Arbeitsumgebung. Eine junge Frau hat mich spontan herum geführt (Foto unten links bzw. im Web). Man ist nicht in erster Linie auf Besucher eingestellt, aber doch spontan offen, alles zu zeigen.


Im Anschluss war ich noch bei Rifo, weil das am Weg lag. Eigentlich ein Geschäft, das aus wiederverwerteter Wolle, Kaschmir und Jeans Mode verkauft. Ein Verkauf von Web- und Strickmeterware an Endkunden existiert bisher leider nicht. Es wird aber viel nach Deutschland geliefert, ob dort auch Stoff verkauft wird, wusste die Dame leider nicht. Die Materialien fühlten sich super an, die Designs waren raffiniert. Sammelboxen und Verkaufspoints der fertigen Stücke gibt es auch in Deutschland, was die unterschiedlich farbigen Fähnchen auf der Landkarte letztendlich bedeuten, konnten wir im Laden auch nicht klären. Einige sind einfach Sammelboxen, vielleicht beschäftige ich mich irgendwann nochmal genauer mit der Seite. 

Die Freundin meiner Tochter, die mich für den Aufenthalt in Prato inspiriert hat, war auf ihrer Studienfahrt noch bei Manteco. Das liegt etwas außerhalb, zwar mit der Bahn erreichbar, aber ich hätte mich vermutlich anmelden müssen, um einen Blick in das Stoffarchiv werfen zu können. Beim nächsten Mal.

Hier noch meine Stoffschätze als Collage, erheblich mehr als ich geplant hatte, aber nichts, was ich in Frankfurt bekommen könnte, teils (Stoff, in diesem Fall Seide, mit grafischen Mustern) habe ich schon lange ähnliche Stoffe gesucht, der Boucle wird dann die Hose, für die der Stoff aus Paris nicht gereicht hat, den Mantelstoff (10 % Kaschmir, 90 % Lana Vergine) hätte ich nicht gebraucht, aber im Laden hing ein fertiger Mantel aus dem Stoff, der mir sehr gut stand, da konnte ich irgendwie nicht "Nein" sagen:


Viele Grüße aus Frankfurt, Anja
 

4 Kommentare:

  1. Danke für diese Einblicke in Prato in den letzten beiden Posts!
    Ich hatte mich besonders auf einen Erfahrungsbericht über diesen Teil Deiner Reise gefreut. Weniger wegen den Deadstocks, sondern weil ich hier vor ein paar Jahren mal eine Ausstellung gesehen habe, in der es u.a. um den Wandel von Prato ging: Textilindustrie im 19 Jh., dann Niedergang und furchtbare Arbeitsbedingungen, nun auf dem Weg zur "Circular City" bis 2030, einer Stadt mit Kreislaufwirtschaft (Innovation von Produktionsprozessen & Umnutzung, Regeneration des urbanen Raums, Stärkung des sozialen Zusammenhalts usw.).
    Da hast Du ja wirklich etwas sehr Schönes im November erlebt.
    Lieben Gruß Manuela

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    1. Ach, die Ausstellung würde mich jetzt auch interessieren und ja, die Stadt strahlte Ruhe und Frieden und Wohlstand aus, die Familie in meinem Airbnb lebte dort ausnehmend gerne, der Großvater hatte früher in der Textilindustrie gearbeitet, wie irgendwie alle und jetzt ist die Krise irgendwie überwunden. LG Anja

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  2. Wie cool, ich glaube, ich habe den Reader zu der Ausstellung gefunden, Design Lab 8

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  3. Ja, „Material Loops“, Design Lab 8. Ich hatte Sommer 2021 kurz dazu geschrieben. In dem Post ist auch der Link zu dem Reader. LG Manuela

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